Opernnetz

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Monika Rittershaus

Aktuelle Aufführungen

Yes, we can – Armseligkeit

PAUL BUNYAN
(Benjamin Britten)

Besuch am
9. Oktober 2016
(Premiere)

 

 

Oper Frankfurt, Bockenheimer Depot

Blaue Schleife oder nicht? Das ist die zentrale Frage in Brigitte Fassbenders tiefgründig spritziger Paul-Bunyan-Inszenierung im Bockenheimer Depot der Oper Frankfurt. Wer die Schleife trägt, steht unter der Fuchtel dieses riesengroßen Holzfäller-Übervaters, den Amerika als Mythos glorifiziert, nicht aber Benjamin Britten. Zum Libretto von Wystan H. Auden erfand er ein Bühnenwerk zwischen Operette und Musical mit viel Chormusik, die jedes Herz zum Schmelzen bringt, und in einer subtilen Schreibart, die im Schwelgen nie vergessen lässt, dass es hier um die Besitznahme, Profitabilisierung und Zersetzung einer ursprünglich unberührten Natur geht. Der amerikanische Traum verkommt zur skurrilen Farce.

Erzählt wird in eine zeitlosem Phantasieraum die Sage vom Riesen Paul Bunyan, der hungrige Pioniere in den Wald lockte, um das größte Holzimperium aufzubauen. Seine Arbeiter kommen aus Übersee, getrieben vom Traum nach unbegrenzter Freiheit und Toleranz, ernüchtert vom Einheitsbrei aus Bohnen und Suppe. Mit nächtlichen Albträumen von Skelettleichen aus dem Wilden Westen bindet Bunyan sie an die übergroße Axt, schickt Frauen und einen Koch, der mehr kann als nur Dosen öffnen. Doch irgendwann greift auch das nicht mehr. Als die Schwielen an den Händen dick genug sind, hat sich die Gesellschaft formiert. Befreit vom blauen Band verlassen einige den Wald und streben nach hohen Ämtern. Noch einmal demonstriert Bunyan selbstgerecht gottväterliche Macht und bricht in schallendes Lachen aus.  

POINTS OF HONOR
Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Fassbender untergräbt mit einem feinen Gespür für das Detail und einer Furchtlosigkeit im Gebrauch von Klischees die dem Stück immanente „Yes-we-can-Hemdsärmeligkeit“. Geradezu märchenhaft sagenumwoben gestaltet sie den Prolog. Knorrige Bäume verzaubern mit ihrem Gesang, streiten mit dem jungen Gehölz und lauschen der Kunde von der Geburt und dem Wachsen des Riesen Bunyan, das die Wildgänse glockenhell heraus posaunen. Zu bombastischen Klängen teilt sich die Baumstamm-Bahn und zurück bleibt hoch in den Wipfeln ein Teil Baumstammstoff, auf welchem ein stachelig bärtiger Mund alles Kommende diktiert. Nathaniel Webster verleiht dieser Sagenfigur mit diffiziler Sprachgestaltung souveräne Autorität.

Foto © Monika Rittershaus

Tatendurstig drängen die Holzfäller herbei und auf das Bühnenrund, das Bühnenbildner Johannes Leiacker aus Campbells Bohnen-Tomaten-Suppendosen der Pop-Art-Ikone Andy Warhol mit senfig-schleimigem Überlauf baute. Auf roten Schuhen tänzelt der wenig anpassungswillige Jonny Inkslinger herbei, um aus purem Überlebenswillen wenig ambitioniert den Buchhalterjob zu übernehmen. Jeder seiner Auftritte gleicht einer Selbstinszenierungsshow. Britten legte viel von sich in diese Figur. Michael Mc Cown verkörpert ihn mit sympathisch heller Leichtigkeit in der Stimme. Den hünenhaft und von körperlicher Kraft strotzenden Vorarbeiter Hel Helson untergräbt Sebastian Geyer durch eine tapsige und weichliche Charakterzeichnung. Quirlig und erfrischend beleben Hund und Katz als stete Begleiter der Menschen die Szenerie. Weniger als eine Fußnote und doch präsent durchschwirrt Superman in seiner menschenfreundlich helfenden Naivität als Postbote die Szenerie. An seinem Verfall zeigt sich der Lauf der Zeit. Zunächst muskelbepackt und sprühend vor alerter Nettigkeit, schlurft er am Ende mit Rollator über die Bühne.

Das Orchester am linken Bühnenrand trägt zwar auch blaue Schleifen, agiert jedoch überzeugt unter der Stabführung von Nikolai Petersen. Er ist kein Mann der großen Gesten, aber mit enormer Zugkraft. So gelingt ihm, was unmöglich erscheint, ohne direkten Augenkontakt ein Zusammenspiel der vielen durchweg herrlich singenden und schauspielernden Darsteller aus Solisten und Chorsängern mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester.  Benjamin Brittens Musik erklingt über weite Strecken in satter spätromantischer Diktion, verlässt nur die Bahn, wo Individualität wie im Falle des Buchhalters künstlerischer Kreativität folgen möchte und lenkt, je länger das Werk dauert, auf musikalische Ereignisse, die verwundern und verzücken. Einmal mehr gelingt im Bockenheimer Depot eine Chor-Oper, die hörens- und sehenswert ist.

Christiane Franke